Nun liegt das Debütalbum von Anna-Karina Barthel und Carlotta Ribbe vor, und es beinhaltet viele jener Songs, die sie seit 2022 erfolgreich auf Konzertbühnen präsentieren: eine klug austarierte Mischung aus eigenen Kompositionen und neu arrangierten Jazz- und Pop-Standards, über der, halb fragend, halb selbstbewusst konstatierend, der Titel des Albums steht: „Who Am I“. Vor allem aber: „Who Am I“ wurde nicht live mitgeschnitten, vielmehr in den Folkwang Studios in Essen aufgenommen, sozusagen um die Ecke der Folkwang Universität der Künste, jenem Ort, an dem sich Anna-Karina Barthel und Carlotta Ribbe während ihres Studiums kennenlernten.
So ungeschützt wie aufrichtig präsentiert sich das Duo auf seinem Debütalbum, nunmehr ohne den Resonanzraum eines Live-Konzerts, ohne spontanen Applaus und den Zuspruch des Publikums. Doch ebenso souverän, wie Anna-Karina Barthel und Carlotta Ribbe die räumliche Distanz zwischen Bühne und Zuschauerraum live außer Kraft setzen, stellen sie sich der neuen, „abstrakten“ Studiosituation: Anna-Karina Barthel kommt dem Mikrofon so nahe, dass man jede Nuance ihrer ausdrucksstarken Stimme ganz unmittelbar wahrnimmt, während sie von Carlotta Ribbes farbenprächtigen Vibraphon-Klängen umschwärmt, ja umschmeichelt wird. Die beiden Musikerinnen ergänzen sich kongenial, spornen sich gegenseitig an, fordern einander heraus, ermutigen, berauschen und „versöhnen“ sich – zwei leidenschaftliche Klangmalerinnen, die nicht nur einfach miteinander musizieren, vielmehr feinsinnige Gespräche führen.
Was „Who Am I“ nachdrücklich belegt: Für Anna-Karina Barthel und Carlotta Ribbe gibt es nicht die vertrauten Rollen von Begleit- und Melodieinstrument. Hier und da steuern beide kleine, prägnant improvisierte Passagen bei, vorrangig aber ist jedes Arrangement das Resultat gemeinsamer Interaktion, woraus sich raffinierte Klangschattierungen und vital variable Rhythmen, dichte Stimmungen und sinnliche Emotionen ergeben. Dabei ist Anna-Karina Barthels Stimme stets auch Instrument, Carlotta Ribbes Vibraphon stets auch Stimme.
Die für „Who Am I“ ausgewählten Stücke wurzeln im Jazz unterschiedlichster Stilistik und dienen dem Duo als Sprungbrett ins Becken ihrer eigenen Kreativideen. Zugleich werden die Songs immer beim Wort, sprich: bei ihren Lyrics genommen. Es sind eingängige Standards, die großartige Künstlerinnen und Künstler längst zu zeitlosen Klassikern formten. „Águas de Março“ von Antonio Carlos Jobim ist eng mit dem federleichten Duett von Elis Regina und Tom Jobim verbunden, „A Timeless Place (The Peacocks)“ weckt tiefe Gefühle dank Norma Winstone, die sich den Text selbst auf den Leib schneiderte; Cole Porters Filmklassiker „You’d Be So Nice To Come Home To“ wurde geprägt von Helen Merrill, Frank Sinatra, Sarah Vaughan oder auch Nina Simone, „I Say A Little Prayer“ ist ohne Dionne Warwick, das hymnische „As“ ohne Stevie Wonder nahezu undenkbar.
Und doch: Die Interpretationen von Anna-Karina Barthel und Carlotta Ribbe können jederzeit neben den „Leuchttürmen“ bestehen. So, wie sie sich gegenseitig zuhören, hören sie aufmerksam und ohne jede Berührungsangst den Songs zu, formen deren Lyrics zu Kunststücken und Kunstliedern, mal heiter und jauchzend, mal melancholisch, mal mit leicht opernhaftem Anflug, mal mit sprechgesanglichen Anleihen bei Brecht/Weill. Dem intensiven Song „The Peacocks” verleiht Anna-Karina Barthel geradezu programmatische Strahlkraft: „A vision, a timeless place, another way of living…”, wie es im Text heißt.
Es bleiben die zwei wunderbaren Eigenkompositionen des Albums: Im Titelsong „Who am I“, einem fragend suchenden Liebeslied, formuliert Anna-Karina Barthel Trost und Hoffnung: „The clouds are gone, the sky is blue / the fields are turning into green. / A far away I feel your breath / it saves me for the day.” Carlotta Ribbes „Osmotischer Kaffeesatz“ wiederum kreiert eine betörend schöne, melancholische Melodie, ganz ohne Worte und doch beredt dank der sphärisch durch die Musik schwebenden Gedanken beider Musikerinnen. Zugleich ist „Osmotischer Kaffeesatz“ das verheißungsvolle Versprechen auf weitere Eigenkompositionen der beiden.
Wie überhaupt das Album ein großes Versprechen einlöst: Nicht nur mit ihren Live-Konzerten können Anna-Karina Barthel und Carlotta Ribbe das Empfinden für Zeit und Raum verändern, dank ihrer feinsinnigen, empathischen Zwiesprache glückt ihnen dies nun auch mit ihrem phänomenalen Debütalbum. „Who Am I“ ist ein in der Tat besonderes Erlebnis.