In Two Minds
Jerry Lu – Piano
Stefan Rey – Bass
Niklas Walter – Schlagzeug
Special Guest
Denis Gäbel – Tenor Sax
Endlich, es ist so weit: Jerry Lu krönt seine grandiosen, oft hymnisch gefeierten Live-Auftritte der letzten Jahre mit der Veröffentlichung seines Debütalbums. „In Two Minds“ präsentiert elf Studioproduktionen des jungen Pianisten, eingespielt mit seinem souverän agierenden Trio – während sich auf einer von Jerry Lus fünf Eigenkompositionen Saxofonist Denis Gäbel als besonderer Feature-Gast hinzugesellt.
Um es „straight, no chaser“, direkt und ohne Umwege zu sagen: Jerry Lu ist ein mitreißendes, in jeder Hinsicht ausgereiftes und durchdachtes, nuancen- und facettenreiches Album geglückt – ein Werk voller subtiler Stimmungen, rhythmischer Finessen und raffinierter Arrangements. Selbstbewusst beschreitet Lu seinen klangnarrativen Weg zwischen Straight Ahead und Modern, Swing und Groove, mal mit furios schnellen Stücken, mal mit zart hingetupften Balladen, in denen jeder Ton zu schweben scheint.
So komplex die Stücke, so virtuos die Improvisationen: Lus Musik präsentiert sich ebenfalls direkt und ohne Umschweife. Nur zu leicht könnte man die Tiefgründigkeit der Musik überhören, so eingängig und elegant kommt sie daher, so federleicht, ja lässig fließen Melodien und Rhythmen ineinander. Doch mit jedem weiteren Hören gerät man immer mehr ins Staunen. Mag Monks vergleichsweise selektiver Ansatz eher von Ferne winken: Genau wie Monk kennt auch Lu sehr genau jeden Klang, den er haben will. Zwischen perlenden Akkorden und rasanten Läufen setzt er punktgenau die entscheidenden Akzente und verleiht zur richtigen Zeit dem richtigen Ton seine Wirkung.
Wohl nicht zufällig bezieht sich auch das schnell vorgetragene Eröffnungsstück „In Walked Bill“ auf einen Monk-Titel („In Walked Bud“, gewidmet dem Pianisten Bill Charlap). Nach dem knappen, fast lakonisch angespielten Thema geht die Wilde Jagd los, wobei Jerry Lu förmlich auf der chromatischen Basslinie reitet, ohne seine Fertigkeiten zirzensisch zur Schau stellen zu müssen. So ist „In Walked Bill“ eine intensive, ausgesprochen höflich überreichte Visitenkarte aller drei Akteure. Die legen gleich darauf die erste Ballade des Albums nach und bereiten wohlige Gänsehaut: Jerry Lus wunderschöne Eigenkomposition „In Two Minds“ entfaltet sich über Stefan Reys sonore Bassklänge, die lange und gedankenvoll nachhallen, während sich Niklas Walters delikate Besenarbeit wie akustischer Sternenstaub ausschüttet.
Nicht geringer fesseln die übrigen Balladen des Albums auf jeweils eigene, sehr besondere Art und Weise. Jerry Lus respektvolle Arrangements von Standards des Great American Songbook erstrahlen in ihrer melodiösen Schönheit und erfahren zugleich eine erfrischend moderne Deutung. In „In A Sentimental Mood“ ändert sich die vertraute Liedform zugunsten einer weniger melancholischen als optimistischen Grundstimmung, an der Stefan Rey maßgeblichen Anteil hat: Seine ostinate, elastische Bass-Figur gibt allen Beteiligten den angemessen dramatischen Spielraum. Auch „Like Someone in Love“ lebt von Stefan Reys Bass, der über das schöne Solo hinaus heftig swingt und im Einklang mit Jerry Lu hintergründig das Tempo variiert. In „When You Wish Upon A Star“ zelebriert das Trio die magische Traummelodie aus dem Disney-Klassiker „Pinocchio“: Reys Bass singt förmlich, während Jerry Lu die Melodie ein- und ausleitend als fragil-zartes Traumgespinst tänzeln lässt. Man sollte das Stück unbedingt einmal als Diptychon mit der finalen Ballade „Star-Crossed Lovers“ genießen, um sich der Schönheit dieses Albums gewahr zu werden. Jerry Lu unterzieht den Ellington-Strayhorn-Song quasi einer Revision: Den einstigen Romeo-und-Julia-Dialog (bei Ellington verteilt auf die Saxofonisten Paul Gonsalves und Johnny Hodges) komprimiert Lu zum betörenden „Klavier-Monolog“, der seinesgleichen sucht.
Als würden die Balladen nicht schon genug begeistern, entfaltet sich die gesamte Qualität des Albums erst im Wechselspiel mit den forcierteren Stücken. „Moving Forward“ heißt nicht nur die temperamentvolle Up-Tempo-Komposition von Jerry Lu, der Titel steht programmatisch für alle schnellen, mitunter in doubletime gespielten Stücke voller Einzel- und auch Trio-Leistungen.
Bleibt noch ein besonderer Solitär: „Running Late” mit Denis Gäbel. Regelmäßig lädt Jerry Lu zu seinen Live-Konzerten illustre Gäste ein, so auch den Saxofonisten der HR Big Band, der das Trio hier mit Wucht und Energie erweitert. Ungestüm, begleitet allein vom Schlagzeug, steigt Gäbel ins nur phrasenhaft angerissene Thema ein, bevor ihn Jerry Lu mit melodischen Seitenlinien einholt, ohne die improvisierende Kraft zu behindern. Wie sich Harmonien an rauen Dissonanzen reiben, erinnert an John Coltranes klassisches Quartett – und spontan fragt man sich: Was darf man von Jerry Lu noch alles erwarten? Man muss kein Prophet sein, um festzustellen, dass das bravouröse Erstlingswerk erst der Anfang ist. Das Jerry Lu Trio hat das Zeug, die Jazztradition neu zu erschließen. So mitreißend „In Two Minds“ bereits ist: Dieses Album ist erst der Anfang!
01 In Walked Bill (04:35)
Jerry Lu (Composer)
02 In Two Minds (05:53)
Jerry Lu (Composer)
03 Running Late (05:24)
Jerry Lu (Composer)
04 When You Wish Upon A Star (05:49)
Leigh Harline (Composer), Jerry Lu (Arrangements)
05 We’ll Be Together Again (06:56)
Carl T. Fischer (Composer), Jerry Lu (Arrangements)
06 Samba For Thomas (05:03)
Jerry Lu (Composer)
07 In A Sentimental Mood (06:00)
Duke Ellington (Composer), Jerry Lu (Arrangements)
08 Like Someone In Love (05:37)
Jimmy Van Heusen (Composer, Lyrics), Jerry Lu (Arrangements)
09 You Stepped Out Of A Dream (04:11)
Nacio Herb Brown (Composer), Jerry Lu (Arrangements)
10 Moving Forward (04:22)
Jerry Lu (Composer)
11 Star Crossed Lovers (03:09)
Duke Ellington, Billy Strayhorn (Composer), Jerry Lu (Arrangements)
Recorded and mixed by Nico Raschke at Hansahaus Studios, Bonn (1-10) and
Reinhard Kobialka at Topaz Studios, Köln (11).
Mastered by Thomas Ölscher at Railroad Tracks Studios, Kerpen.
Produced by Jerry Lu, Jens Bosch (Executive Producer)
Design by Katerina Trakakis & Svenja Wittmann
Photography by Frank Wiesen
℗ 2024 JazzJazz Records / LC97320
© 2024 JazzJazz Records / LC97320
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